ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom) ist eine schwere neuroimmunologische Multisystemerkrankung. Seit 1969 ist ME/CFS von der WHO unter dem ICD-10 Code G93.3 klassifiziert. Trotz der Schwere der Erkrankung und einer hohen Anzahl an Betroffenen, ist ME/CFS wenig bekannt, unzureichend erforscht und die Betroffenen sind im Gesundheits- und Sozialsystem schlecht versorgt. Wir setzen uns dafür ein, das zu ändern.

Situation der ME/CFS Betroffenen in Österreich

ME/CFS ist in Österreich weder in den Lehrplänen der medizinischen Universitäten und Hochschulen des Gesundheitsbereichs verankert, noch ist die Erkrankung in der ärztlichen Praxis ausreichend bekannt. Dementsprechend groß sind die Herausforderungen in Versorgung und Absicherung für Betroffene. 

Wie schwierig die Lage der ME/CFS Betroffenen ist, zeigt der ME/CFS Report 2021, in dem zum ersten Mal ME/CFS Erkrankte in Österreich umfassend befragt wurden, sowie die Erhebung zur Situation ME/CFS Betroffener 2020 in Österreich.

Diagnose

Eine erste Hürde ist es für Betroffene, die korrekte Diagnose zu erhalten. 1 Internationale Studien gehen davon aus, dass 84-90% der ME/CFS Betroffenen keine (richtige) ME/CFS Diagnose haben. 2 , 3  In Österreich dauert es vom Auftreten der Symptome bis zur Diagnose fünf bis acht Jahre. Bei 30% der Betroffenen dauert es sogar mehr als zehn Jahre, bis sie ihre Diagnose erhalten. 4

In Österreich dauert es 5-8 Jahre vom Auftreten der Symptome bis zum Erhalt der ME/CFS Diagnose.

Bis dahin vergeht viel Zeit, in der sich der Zustand der Betroffenen irreversibel verschlechtern kann. Eine frühe und richtige Diagnose wäre aber für Betroffene wichtig, da sie zu einer besseren Prognose führt. 5  Eine falsche Diagnose – besonders aus dem Bereich der psychischen Erkrankungen – ist meist mit schädlichen Behandlungsempfehlungen wie Bewegungs- und Aktivierungstherapie verbunden, die für ME/CFS Betroffene schwerwiegende, langfristig schädliche Konsequenzen haben können. Ein früher Umgang mit dem Hauptsymptom der Post Exertional Malaise (PEM) in Form von Pacing kann sehr hilfreich sein.

Gründe für die späte Diagnose von Betroffenen sind, dass ME/CFS kaum bekannt ist, es keine Anlaufstelle und keine Forschungsförderung gibt. In den Lehrplänen der österreichischen medizinischen Universitäten und Hochschulen ist ME/CFS nicht verankert. Damit ist ME/CFS nicht nur in der ärztlichen Praxis nicht ausreichend bekannt, sondern darüber hinaus halten sich Vorurteile gegenüber der Krankheit hartnäckig. 6 Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse werden nicht auf breiter Ebene diskutiert und ME/CFS Forschung bleibt für den wissenschaftlichen Nachwuchs äußerst unattraktiv. 

“Ich bin seit 2014 nach einem Infekt an ME/CFS erkrankt. Jahrelang wussten meine Ärzte nicht, was meine schweren gesundheitlichen Probleme verursachte und mein Zustand wurde mit der Zeit immer schlechter. […] Ich war zu Beginn meiner Erkrankung nur leicht betroffen. Leider war mir damals nicht klar, dass körperliche und geistige Aktivitäten meinen Zustand verschlechtern konnten. Hätte ich meine Diagnose früher erhalten, wäre ich in einem deutlich besseren Zustand geblieben, weil ich Pacing betrieben und dadurch eine kontinuierliche Verschlechterung vermieden hätte.“

Ein Betroffener

Medizinische Versorgung & Behandlung

Auch nach Erhalt der Diagnose stellt die unangemessene Versorgungssituation in Österreich für die Betroffenen eine hohe Belastung dar. Es gibt weder öffentlich finanzierte Spezialambulanzen zur Betreuung und Behandlung von ME/CFS, noch spezialisierte Angebote für Schwerstbetroffene zur Basisversorgung und Pflege. 

Während unter Expert:innen auf der einen Seite ein Konsens besteht, dass es eine spezialisierte Form der Versorgung braucht, wurden entsprechende Empfehlungen bis heute nicht umgesetzt und kommen bei den Betroffenen nicht an. BMSGPK 22 , Gesundheit Österreich GmbH 23 , die aktuelle S1 Leitlinie „für das Management postviraler Zustände am Beispiel Post-COVID-19“ 24 und die Arbeitsgruppe des Obersten Sanitätsrates betonen in ihren Empfehlungen und Versorgungspfaden, dass postinfektiöse Erkrankungen zu schwerwiegenden, langanhaltenden Funktionseinschränkungen führen können und dass diese andauernden und komplexen Fälle – so wie sie bei ME/CFS vorliegen – in spezialisierten Strukturen abgeklärt und betreut werden müssen. Trotzdem gibt es Stand 2024 keine einzige Spezialambulanz oder medizinische Anlaufstelle zu Diagnosesicherung und Start eines Therapieplans für ME/CFS.

In den bestehenden öffentlichen medizinischen Versorgungsstrukturen wird daher die Schwere der Erkrankung meist nicht ernst genommen. Hartnäckig hält sich ein “psychisches Dogma”, 6 welches das hohe Maß an körperlicher Beeinträchtigung und Leid der Betroffenen nicht nur vollständig verkennt, 7 sondern auch zu falscher, bestenfalls wirkungsloser, oft aber sogar schädigender Behandlung führt. 4 ,6 , 7 , 8 , 9

Wie schlecht die medizinische Versorgung für ME/CFS in Österreich ist, sieht man auch im direkten Vergleich mit den Versorgungsmöglichkeiten, die es für andere schwere chronische Erkrankungen gibt.

Wie schlecht die Versorgungssituation tatsächlich ist, zeigt eine direkte Gegenüberstellung mit anderen schweren chronischen Erkrankungen wie zum Beispiel Multipler Sklerose (MS). 

Beides sind schwere Multisystemerkrankungen, welche die Lebensqualität der Betroffenen deutlich einschränken. Während es schon einige Medikamente für MS gibt, und auch in Österreich an der Krankheit geforscht wird, ist dies für ME/CFS leider kaum der Fall. Es gibt keine Medikamente, um ME/CFS ursächlich zu behandeln, und kaum geförderte Forschung zur Krankheit in Österreich. In ganz Österreich gibt es 139 MS-Zentren, an die sich Patient:innen für Beratung und Behandlung wenden können. 50 davon sind an österreichischen Kliniken angesiedelt. Diese Anlaufstellen erfüllen die Kriterien der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, um eine krankheitsgerechte Behandlung zu garantieren. 

Für ME/CFS gibt es im ganzen Land keine öffentliche Spezialambulanz oder Anlaufstelle. Betroffene und ihre Familien sind somit auf sich selbst gestellt, Ärzt:innen zu finden, die sich mit der Krankheit auskennen und diese behandeln können – und davon gibt es nur sehr wenige.

Anmerkung: Der direkte Vergleich von ME/CFS und MS dient nicht einer Bewertung der Erkrankungen sowie der einzelnen Lebenssituationen der Betroffenen. Vielmehr möchten wir dafür eintreten, dass ME/CFS in Versorgung, Absicherung und Forschung anerkannt und entsprechend gleichgestellt wird.

Quellen Tabelle

Tabelle für Österreich adaptiert nach Scheibenbogen, C. (2022) MECFS: Forschungslücken schließen und Voraussetzungen für Therapiestudien schaffen. Vortrag bei der Veranstaltung: ME/CFS: Verkannt, verleugnet, vergessen? https://www.youtube.com/watch?v=zrXuzhpyJIY

[1] Salhofer-Polanyi, S. et al. Epidemiology of Multiple Sclerosis in Austria. Neuroepidemiology. 2017; 49(1-2):40-44.  https://doi.org/10.1159/000479696

[2] Yong S.J. & Liu S. (2021) Proposed subtypes of post‐COVID‐19 syndrome (or long‐COVID) and their respective potential therapies. Rev Med Virol, e2315. https://doi.org/10.1002/rmv.2315

[3] Baumhackl, U. et al. ÖMSB. Österreichische Multiple Sklerose Bibliothek. Facultas. Wien. 2020. https://www.oegn.at/wp-content/uploads/2020/05/OEMSB_2020.pdf

https://www.msges.at/wp-content/uploads/2020/05/ÖMSB-2020.MS_kern_170x220-NA4-05-14-ePDF.pdf (Link geht nicht)

[4] Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS. ME/CFS Report Österreich 2021 https://mecfs.at/wp-content/uploads/Report-ME-CFS-Oesterreich-2021.pdf

[5] Renz-Polster, H., Scheibenbogen, C. Post-COVID-Syndrom mit Fatigue und Belastungsintoleranz: Myalgische Enzephalomyelitis bzw.Chronisches Fatigue-Syndrom. Innere Medizin 63, 830–839 (2022). https://doi.org/10.1007/s00108-022-01369-x

[6] Falk Hvidberg, M. et al. The Health-Related Quality of Life for Patients with Myalgic Encephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS). PLoS One. 2015 Jul 6; 10(7):e0132421. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0132421

[7] Schweizer Multiple Sklerose Gesellschaft. Verlaufstherapien. https://www.multiplesklerose.ch/de/ueber-ms/behandlung/verlaufstherapie/ (Abgerufen am 9.11.2022)

[8] National Center for Biotechnology Information. National Library of Medicine. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/ (Abgerufen am 31.10.2022)

[9] Elsevier B.V. Scopus. https://www.scopus.com (Abgerufen am 11.11.2022)

[10] FWF Der Wissenschaftsfonds. Project Finder. https://pf.fwf.ac.at/de/wissenschaft-konkret/ (Abgerufen am 11.11.2022)

[11] Österreichische Gesellschaft für Neurologie. Liste von MS-Zentren in Österreich: https://www.oegn.at/neurologie-in-oesterreich/ms-zentren/ (Abgerufen am 9.11.2022)

Soziale Absicherung

Auch die soziale Absicherung der Betroffenen findet in Österreich nicht angemessen statt. Ein Großteil (mehr als 60%) der Betroffenen ist nicht mehr arbeitsfähig. 10 Für leicht Betroffene kann es möglich sein, unter großen Einschränkungen noch Teilzeit zu arbeiten. 11 Etwa 25% der Betroffenen sind so schwer krank, dass ein Verlassen des Hauses oder sogar Betts nicht mehr möglich ist. 13 Im direkten Vergleich mit anderen schweren chronischen Erkrankungen zeigt sich für ME/CFS eine durchschnittlich niedrigere Lebensqualität. 13 , 14 , 15 , 16

Trotz der Schwere der Erkrankung und einer verbindlichen ICD-Kodierung (ICD-10 G.93.3), wird die Diagnose ME/CFS in sozialrechtlichen Verfahren meist nicht anerkannt. 17

Bei der Zuerkennung von Grad der Behinderung, Berufsunfähigkeitspension und Pflegegeld gibt es für ME/CFS Betroffene erhebliche Hürden: Es gibt keine auf ME/CFS spezialisierte Gutachter:innen in Österreich. Zur Weiter- und Fortbildung von Gutachter:innen in Österreich verweisen BMSGPK 18 und PVA 19 auf eine allgemeine Fortbildungspflicht von Gutachter:innen. So lange in dieser aber ME/CFS nicht vorkommt, bedarf es dringend einen eigenen Schwerpunkt in der Aus- und Fortbildung von Ärzt:innen und Gutachter:innen. 

In Begutachtungen zum Anspruch von Sozialleistungen führt vor allem die Unkenntnis von PEM als Kardinalsymptom von ME/CFS zu einer Fehlinterpretation der Leistungsfähigkeit. Typischerweise treten massive Zustandsverschlechterungen in Folge eines Crashs nach körperlicher oder mentaler Belastung mit einer Verzögerung von 24-72h auf. Obwohl PEM mittels wiederholter Belastungstests (Two-Day Cardiopulmonary Exercise Test (CPET)) ein objektivierbares Symptom ist, sind entsprechende Tests in Österreich derzeit nicht verfügbar. Oft werden stattdessen, wie das BMSGPK ausführt, 18 “psychologische Leistungstests” durchgeführt, die in keiner Weise zur Objektivierung geeignet sind. Sie entsprechen nicht dem aktuellen Wissensstand zu ME/CFS, sondern zeigen vielmehr die veralteten Annahmen auf, mit denen ME/CFS Betroffene in Begutachtungen meist konfrontiert sind.

In vielen Fällen erhalten ME/CFS Betroffene eine entsprechende Einstufung und damit Anspruch auf soziale Unterstützung trotz schwerer Erkrankung nur aufgrund jahrelanger Gerichtsverfahren oder unter Einstufung einer anderen (meist psychischen) Erkrankung. Diese falsche Einstufung führt in Folge wiederum zu schädigenden Behandlungsansätzen (siehe Behandlung), die aber zum Erhalt von Leistungen verpflichtend sind.

“ME/CFS hat mir so viel von meinem Leben geraubt. Ich konnte nicht mehr arbeiten, habe Beziehungen und Hobbies verloren. Das Schlimmste ist, dass es so viele Jahre gedauert hat, bis ich diagnostiziert wurde. Wäre das früher richtig passiert, wäre es vermutlich nie so schlimm geworden. Und selbst nach der Diagnose musste ich Ablehnung, Zweifel und Erniedrigung erfahren, weil mir immer noch nicht geglaubt wurde. Ohne meine Nebendiagnosen hätte ich keine Chance auf Leistungsanspruch gehabt, deswegen scheine ich auch in keinen Statistiken auf. […] Es muss sich noch viel ändern.” 

Eine Betroffene

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ME/CFS Betroffene im Vergleich zu Personen mit anderen schweren chronischen Erkrankungen nicht nur eine signifikant verringerte Lebensqualität haben, sondern auch sehr schlecht versorgt sind. Die Schwere der Erkrankung und die fehlende behördliche Anerkennung von ME/CFS führen für die Betroffenen oft zu dramatischen finanziellen und sozialen Situationen. Diese Umstände schlagen sich in einer hohen Rate an Suizidgedanken 4 unter den ME/CFS Betroffenen und schließlich in einer erhöhten Suizidrate 20 nieder.

Forschung

ME/CFS ist in der Erforschung eine der am wenigsten geförderten Erkrankungen. Im Vergleich zur Krankheitslast und Lebensqualität der Betroffenen ist ME/CFS sogar die am wenigsten geförderte Erkrankung in Bezug auf ihre Erforschung. Für die USA konnte beispielsweise gezeigt werden, dass die Forschungsförderung für ME/CFS vervierzehnfacht (!) werden müsste, um der Förderung zu entsprechen, die andere Erkrankungen mit einer ähnlichen Krankheitslast erhalten. 21 , 25 Eine so große Lücke kann nur mit gezielten Forschungsprogrammen und -möglichkeiten spezifisch für ME/CFS geschlossen werden. 

Besonders wenig Förderung floss bisher in die biomedizinische Erforschung der Erkrankung. Das erklärt, warum es für die komplexe, schwere Erkrankung bisher keinen einzelnen Biomarker, keine Therapiemöglichkeiten und keine Medikamente gibt. Besonderen Fokus in der Förderung sollte daher beispielsweise auf die Suche nach einem Biomarker und einem besseren Krankheitsverständnis gelegt werden. 21

 Aus Österreich sind die Publikationen zu ME/CFS nur knapp zehnstellig. Vom FWF gibt es bis dato kein gefördertes Forschungsprojekt zu ME/CFS (siehe Tabelle oben). 

Sozioökonomische Kosten von 2,57 Mrd € jährlich

Im Rahmen der npoStudentProjects der WU Wien bearbeiten Studierende Fragestellungen von gemeinnützigen Organisationen aus der Praxis. Im Wintersemester 2023/2024 beschäftigten sie sich, angestoßen von der ÖG ME/CFS, unter anderem mit den sozioökonomischen Kosten von ME/CFS.

Ausgehend von einem Bottom-Up-Ansatz wurden die jährlichen sozioökonomischen Kosten pro Patient:in in Österreich errechnet. Über 47.000€ sind das bei ME/CFS. Eine Zahl, die auch dem internationalen Vergleich standhält. Die Kosten sind vor allem aufgrund der Schwere der chronischen Krankheit so hoch: bis zu 75% der Betroffenen so schwer krank, dass sie nicht mehr arbeiten können. 26 Der größte Teil der sozioökonomischen Kosten entsteht daher durch eine Reduktion oder den Verlust des Einkommens – auch von pflegenden Angehörigen.

Konservativ geschätzt, aber weit weg von selten waren schon vor der Pandemie 0,3% der Bevölkerung, 27 also knapp 27.000 Menschen in Österreich, von ME/CFS betroffen. Damit entstanden bereits vor 2020 jährliche sozioökonomische Kosten von knapp 1,3 Mrd €. Internationale Expert:innen gehen davon aus, dass sich durch die Pandemie die Zahl der Betroffenen mindestens verdoppelt hat. 28 Denn auch eine Covid-19 Infektion kann, wie andere bakterielle und virale Infektionen auch, ME/CFS auslösen. Insgesamt kommen die WU-Studierenden so auf aktuell 2,57 Mrd € an sozioökonomischen Kosten, die durch ME/CFS jährlich in Österreich entstehen.

Die größte Herausforderung für das Projekt war die fehlende Datenlage zu ME/CFS in Österreich. Auch die ÖG ME/CFS kritisiert diese Lücke wiederholt.

Kurzfristige Ansatzpunkte zur Senkung der hohen sozioökonomischen Kosten und zur Verbesserung der Lage der Betroffenen sind laut dem Projekt der WU-Studierenden Aufklärungsmaßnahmen und Leitlinien, die rasch zum Kompetenzaufbau beitragen könnten. Langfristig kann laut Studierendenprojekt der WU Wien nur eine substanzielle Investition in die Erforschung von Behandlungsmöglichkeiten für ME/CFS dazu beitragen, die sozioökonomischen Kosten zu senken. Auch wenn das teuer ist, zeigt das Projekt eindrücklich, dass das Weiterführen des Status Quo ohne Investitionen mit einem sozioökonomischen Schaden von 2,57 Mrd € pro Jahr nicht nur massives Leid für die Betroffenen, sondern auch enorme Kosten für die Gesellschaft verursacht.

Pressemitteilung & Kurzfassung Projekt

5-8 Jahre zur Diagnose

keine Anlaufstelle

keine Absicherung

ME/CFS-Petition & Entschließung

ME/CFS ist als neurologische Erkrankung seit 1969 von der WHO klassifiziert (1969). Trotzdem sind die Betroffenen und ihre Familien weitgehend auf sich allein gestellt. Das muss sich nach mehr als 50 Jahren! endlich ändern. Auch die Covid-19 Pandemie zeigt auf, wie sehr postinfektiöse Erkrankungen auf allen Ebenen bisher ignoriert wurden.

Zur Verbesserung der Lage der Betroffenen braucht es eine enge Zusammenarbeit aller Verantwortlicher der unterschiedlichen Ebenen: aus Politik, Medizin, Wissenschaft, Interessenvertretungen sowie Patient:innenvertretung. 

ME/CFS-Petition

2021 hat die ÖG ME/CFS eine Petition initiiert, die 4 Forderungen zusammenfasst:

Information und Aufklärung
  • Information, Aufklärung und Schulung der österreichischen Ärzt:innen sowie des Gesundheitspersonals entsprechend dem aktuellen Stand der Forschung, um Bewusstsein und Expertise im Umgang mit ME/CFS zu schaffen, die aktuell hohe Zeitspanne von 5-8 Jahren bis zum Erhalt der Diagnose zu senken und veraltete Dogmen zu beseitigen
  • Aufnahme von ME/CFS in die Lehrpläne der österreichischen medizinischen Universitäten, um die Versorgungslage nachhaltig zu verbessern
  • Öffentliche Aufklärungskampagne zur gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinsbildung


Aufbau medizinischer Behandlungs – und Vorsorgestrukturen
  • Finanzierung von öffentlichen Anlaufstellen zur Diagnosestellung, Betreuung und Behandlung von ME/CFS Betroffenen
  • Interdisziplinäre Anbindung von Anlaufstellen an bestehende Versorgungsstrukturen zur effizienten Nutzung bestehender Ressourcen und Versorgung ME/CFS Betroffener entsprechend dem aktuellen Stand der Forschung
  • Sicherstellung der Finanzierung von notwendigen Untersuchungen zur Diagnosestellung von ME/CFS in den bestehenden Strukturen des Gesundheitssystems
Soziale Absicherung von Betroffenen
  • Gezielte Schulung von Gutachter:innen in den Strukturen der Sozialversicherungsträger sowie des Sozialministeriumservice zur Anerkennung von ME/CFS Diagnosen für Leistungsansprüche
  • Schaffung von Pflege- und Betreuungsplätzen für schwer von ME/CFS betroffene Personen
  • Gezieltes Nutzen von bestehenden sowie Ausbau von flexiblen Möglichkeiten zur Haltung von leicht betroffenen ME/CFS PatientInnen im Arbeitsmarkt


Forschungsförderung
  • Finanzierung von Forschung zu ME/CFS zur Schaffung von Behandlungsmöglichkeiten und Versorgung der Betroffenen auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand

Die Petition wurde von knapp 27.000 Menschen unterstützt (knapp 20.000 davon aus Österreich) und Ende 2021 von der Abgeordneten Heike Grebien (Die Grünen) in den Nationalrat eingebracht. Seither haben unzähliche Betroffene, Angehörige, Unterstützer:innen, Insitutionen, Organisationen und Interessenvertretungen Stellung zur Petition genommen. Die Stellungnahmen können auf der Seite des Parlaments eingesehen werden.

Im Juni 2022 wurde die ÖG ME/CFS zur Anhörung in den Petitionsausschuss geladen. Dabei konnten die Situation der ME/CFS Betroffenen und die Forderungen der Petition direkt mit den Abgeordneten diskutiert werden. Die Abgeordneten zeigen sich betroffen von der Lage der ME/CFS Erkrankten. Insgesamt war die Anhörung ein wichtiger Schritt zur Bewusstseinsschaffung zu ME/CFS. Weitere Details und Wortmeldungen können in der Pressemitteilung zur Anhörung nachgelesen werden.

ME/CFS-Entschließung

Im März 2023 wurde die Petition vom Petitionsausschuss in den Fachausschuss für Gesundheit überwiesen. Dort wurde im April 2023 von vier Parteien ein Entschließungsantrag eingebracht und mit Zustimmung aller Fraktionen beschlossen.

Die Entschließung fordert die Bundesregierung sowie Gesundheits- und Wissenschaftsministerium auf, die Versorgung von ME/CFS zu verbessern. Auch der fachliche, interdisziplinäre Austausch und die Forschung zu ME/CFS sollen gefördert werden.

In der Nationalratssitzung am 27.04.2023 wurde der Entschließungsantrag im Nationalrat einstimmig angenommen. Die Redebeiträge aller Fraktionen sowie des Gesundheitsministers zum Entschließungsantrag betonten die Lage der Betroffenen sowie das Bemühen diese zu verbessern.

„Entschließung des Nationalrates vom 27. April 2023 betreffend ME/CFS: Anerkennung, medizinische Versorgung & Absicherung von Betroffenen sowie Forschungsförderung

Die Bundesregierung und im Speziellen der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird aufgefordert, sich weiterhin und verstärkt für eine verbesserte Zusammenarbeit der Akteure im Gesundheitswesen und damit für eine bessere diagnostische und bedarfsorientierte therapeutische Versorgung von ME/CFS Betroffenen in Österreich einzusetzen. Sinnvoll wäre unter anderem die Schaffung eines Beratungsgremiums zusammengesetzt aus einschlägigen Expertinnen und Experten, die sich mit postviralen/postinfektiösen Syndromen auseinandersetzen. Weiters soll sich der Bundesminister für die stärkere Berücksichtigung von postviralen/postinfektiösen Syndrome in medizinischen Leitlinien, unter Einbeziehung der betroffenen Selbsthilfegruppen, einsetzen.

Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz werden aufgefordert, sich in Zusammenarbeit mit den für Aus- und Fortbildung zuständigen Einrichtungen für die Förderung des interdisziplinären Austausches der fachärztlichen Disziplinen zu postviralen/postinfektiösen Erkrankungen und im speziellen zu ME/CFS einzusetzen sowie die wissenschaftliche Forschung zu unterstützen.“ ( Parlamentsdirektion, 2023)

Aufzeichnung der NR Sitzung & Reden zu ME/CFS

Alle Reden zur Entschließung in der Sitzung vom 27.04.2023 können in der Aufzeichnung des Parlaments nachgesehen werden. 

Gesprochen haben: Heike Grebien (GRÜNE), Eva Maria Holzleitner (SPÖ), Gerhard Kaniak (FPÖ), Elisabeth Scheucher-Pichler (ÖVP), Fiona Fiedler (NEOS), Johannes Rauch (Gesundheitsminister, GRÜNE), Rudolf Silvan (SPÖ), Andreas Minnich (ÖVP), Kira Grünberg (ÖVP)

Vielen Dank für die Redebeiträge zu ME/CFS!

Parlamentarische Anfragen & fehlende Umsetzung

Stand Jänner 2024 sind die genannten Ziele der Entschließung nicht umgesetzt.

ME/CFS als NICHT-Thema in der Leitlinie & fehlende Patient:innenbeteiligung

Ende August 2023 wurde die neue “ Leitlinie S1 für das Management postviraler Zustände am Beispiel Post-COVID-19” im Auftrag des BMSGPK von der ÖGAM veröffentlicht. Sie soll mit der Umbenennung auch anderen postinfektiösen Erkrankungen Rechnung tragen. Trotz Umbenennung und Entschließungsantrag wurde ME/CFS als Thema in der Leitlinie vollständig ausgeklammert und explizit als Nicht-Ziel der Leitlinie benannt. Vor dem Hintergrund der Schwere von ME/CFS als vor allem postinfektiöse Erkrankung ist dieser Schritt nicht nachvollziehbar und zum Schaden der Betroffenen. Auch eine vereinbarte und im Entschließungsantrag festgehaltene Beteiligung von Patient:innenorganisationen fand, trotz intensiver Bemühungen von Seiten der Patient:innen, nicht statt.

Die entsprechende Pressemitteilung der ÖG ME/CFS wurde in einer APA Meldung aufgenommen und in unterschiedlichen Medien geteilt. Eine umfassende schriftliche Rückmedlung zur Leitlinie wurde in Form einer Stellungnahme zusammen mit einer Beschwerde zur Vorgehensweise, die nicht dem internationalen Standard entspricht, an BMSGPK und ÖGAM übermittelt.

Parlamentarische Anfragen zur Entschließung

Ende August 2023 wurde eine Anfrage durch die SPÖ „betreffend ME/CFS- Long Covid bzw. der tristen Situation von Österreichsvergessenen Patient*innen“ eingereicht, die Ende Oktober zur Beantwortung kam. 

Anfang November 2023 reichten die NEOS eine Anfrage „betreffend Umsetzungsstand der ME/CFS Verbesserungen“ ein, die Anfang Jänner 2024 zur Beantwortung kam.

Während es in den Anfragen zur Ankündigung von positiven Schritten kommt, zeigen sie aber auch deutlich, dass es weiterhin an Problembewusstsein auf allen Ebenen des Gesundheits- und Sozialsystems mangelt. Äußerst bedauernswert ist, dass die im Entschließungsantrag gesetzten Ziele zu Leitlinie und Patient:innenbeteiligung auch in der neuen Version der S1 Leitlinie nicht umgesetzt wurden. Erschütternd sind vor allem die Beiträge der Sozialversicherungsträger. Es mangelt weiterhin massiv an Bedarfserhebung, Problembewusstsein und ME/CFS-Kompetenz von Krankenkassen, AUVA und PVA in medizinischer Versorgung und sozialer Absicherung. Die tragische und katastrophale Situation der Betroffenen scheint hier auch nach Petitionsverfahren und Entschließungsantrag nicht durchzudringen.

(Stand 01/2024)

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