Über ME/CFS
ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom) ist eine schwere chronische Multisystemerkrankung, die je nach Ausprägung zu schweren körperlichen Einschränkungen, Verlust der Arbeitsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit bis hin zur künstlichen Ernährung führen kann. Ein Großteil der Betroffenen ist nicht mehr arbeitsfähig, ein Viertel der ME/CFS Erkrankten ist an Haus oder Bett gebunden und pflegebedürftig.
Seit 1969 ist ME/CFS von der WHO unter dem ICD-10 Code G93.3 klassifiziert. Internationale Institutionen wie CDC (USA) und NICE (UK) haben Leitlinien zum Krankheitsbild erstellt. Zur Diagnose stehen etablierte klinische Kriterienkataloge zur Verfügung.
Hauptsymptom von ME/CFS ist die Post Exertional Malaise (PEM). Dabei handelt es sich um eine belastungsinduzierte Zustandsverschlechterung nach (oft bereits leichter) körperlicher und/ oder mentaler Anstrengung (“Crash”). Diese Verschlechterung tritt mit ca. 24 – 72 Stunden Verzögerung auf und kann Stunden, Tage oder sogar dauerhaft anhalten.
Trotz der Schwere der Erkrankung und einer hohen Anzahl an Betroffenen, ist ME/CFS wenig bekannt, unzureichend erforscht und die Betroffenen sind im Gesundheits- und Sozialsystem schlecht versorgt. ME/CFS wird oft nicht erkannt und Betroffene in Folge falsch behandelt – mit schwerwiegenden Konsequenzen. Aufgrund der fehlenden Forschungsförderung in den letzten Jahrzehnten gibt es aktuell keine zugelassen, kurativen Behandlungsmöglichkeiten für die Betroffenen.
Wer ist betroffen?
Vor der Covid-19 Pandemie waren 0,3% – 0,9% der Gesamtbevölkerung betroffen.
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Für Österreich waren das zwischen 26.000 und 80.000 Menschen. Ein Großteil der ME/CFS Betroffenen lebt ohne (korrekte) Diagnose.
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ME/CFS ist keine seltene Erkrankung
ME/CFS tritt vor allem nach bakteriellen und viralen Infektionen auf. Neben zum Beispiel EBV, HHV6 oder Influenzaviren, kann auch eine Covid-19 Infektion zu ME/CFS führen. Nach Schätzung von Expert:innen muss daher davon ausgegangen werden, dass sich die Zahl der Betroffenen durch die Pandemie mindestens verdoppeln wird. 4
Neben Infekten sind unter anderem auch Operationen oder Schädel- und Halswirbelsäulentraumata als Auslöser von ME/CFS dokumentiert. 4 Bei einem Teil der Betroffenen lässt sich kein Auslöser finden oder es kommt zu einem schleichenden Krankheitsbeginn.
ME/CFS kann jede/n treffen
Insgesamt zeigt sich, dass mit zwei Drittel vor allem Frauen von ME/CFS betroffen sind. ME/CFS kann in allen Altersgruppen auftreten, trifft aber vor allem junge Menschen. Dabei zeigen sich zwei Altersgipfel für den Krankheitsbeginn: zwischen 10 und 19 sowie zwischen 30 und 39 Jahren. 5 Damit bricht ME/CFS vor allem bei jungen Menschen aus, die in Ausbildung oder erst am Anfang ihres Berufslebens und damit in einer der produktivsten Phasen ihres Lebens sind. 6
26.000-80.000 Betroffene in Österreich
2/3 der Betroffenen sind Frauen
Altersgipfel: 10-19 & 30-39 Jahre
Symptome
Das Symptombild von ME/CFS ist breit und bei den Betroffenen unterschiedlich stark ausgeprägt. Typisch sind vor allem:
Das Hauptsymptom ist die “Post Exertional Malaise” (PEM).
„PEM ist eine belastungsinduzierte, unverhältnismäßige Zustandsverschlechterung durch eine gestörte physiologische Aktivitäts-Erholungsreaktion. Die Verschlechterung und/oder das Aufkommen neuer Symptome (sog. „Crash“) treten unmittelbar oder oft zeitverzögert (12–72 Stunden) nach bereits geringer physischer, kognitiver, mentaler, orthostatischer oder sensorischer Belastung auf, die vormals toleriert wurde. Die Verschlechterung kann Stunden, Tage oder gar Wochen anhalten (unterschiedliche Übersichtsarbeiten sprechen von mind. 14–24 Stunden). Jeder „Crash“ birgt das potenzielle Risiko einer permanenten Verschlechterung des Gesamtzustandes.“ Hoffmann et al. (2024, S.107)
Aufgrund von PEM und der damit verbundenen Gefahr einer dauerhaften Zustandsverschlechterung, ist es notwendig, dass ME/CFS Erkrankte innerhalb der individuellen Leistungsgrenzen bleiben und diese nicht überschreiten. Hilfreich dazu kann der Energiemanagementansatz “ Pacing” sein.
Durch PEM lässt sich ME/CFS von anderen Krankheiten, die von Fatigue begleitet sind, abgrenzen.
ME/CFS Betroffene leiden an einer extrem eingeschränkten Leistungsfähigkeit und pathologischer (=krankhafter) Fatigue, die dazu führen, dass Alltagstätigkeiten, die vor der Erkrankung kein Problem darstellten, zu großen Herausforderungen oder – je nach Schweregrad der Erkrankung – unmöglich werden. Auch wenn „Fatigue“ im Namen der Erkrankung steckt und übersetzt „Erschöpfung“ bedeutet, hat ME/CFS nichts mit “normaler” Erschöpfung oder „alltäglicher“ Müdigkeit zu tun.
Fast alle Erkrankten leiden trotz pathologischer Fatigue an Durch- und Einschlafstörungen oder nicht-erholsamem Schlaf. Das Gefühl nach dem Aufwachen wird oft als “wie überfahren” beschrieben.
Im Rahmen der neurokognitiven Symptome kommt es zu Konzentrationsstörungen und Reizempfindlichkeiten.
Sehr häufig wird ein umfassendes Gefühl der Benebelung und Benommenheit beschrieben (“Brain Fog”*). Dazu gehören gestörte Wortfindung, verlangsamte Auffassung, eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis, Probleme beim Lesen/Schreiben und bei der Verarbeitung mehrerer Informationen gleichzeitig.
Darüber hinaus sind viele Betroffene extrem reizempfindlich und vertragen Geräusche, Licht oder Berührungen nicht. Diese führen bei den Betroffenen zu einer Verschlechterung des Zustandes („Crash“ – siehe PEM).
*Der Begriff Brain Fog wird von vielen Betroffenen genutzt und gleichzeitig manchmal als Verharmlosung der schweren kognitiven Einschränkungen, die mit ME/CFS einhergehen, empfunden.
Mit ME/CFS geht meist eine Störung der Regulationsfähigkeit des Kreislaufs bei Lageänderung einher (Orthostatische Intoleranz). Viele Betroffene leiden z.B. an POTS (Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom). Typische
Symptome sind: Schwindel, hoher Puls/Herzklopfen, schlechte Regulierung des Blutdrucks.
Dauerhaft grippeähnliche Symptome, Schmerzen (v.a. Muskel- und Gelenkschmerzen), Halsentzündungen, Immunschwäche, gastrointestinale Beschwerden, …
Die Schwere der Symptome kann, so wie der Zustand von Betroffenen, stark schwanken.
„Meine Tochter hat jetzt nur mehr wenig Energie zur Verfügung, die sie sich gut einteilen muss. […] Wenn sie jedoch diesen Rahmen überschreitet, verstärken sich all ihre Symptome: erhöhter Herzschlag, Licht- und Geräuschempfindlichkeit nimmt zu, Gelenks- und Muskelschmerzen verstärken sich, Kopfschmerzen kommen dazu, gesteigertes Kälteempfinden und der ganze Körper fängt extrem zu zittern an. Wenn sie diese Grenze überschritten hat, hat sie nicht einmal mehr die Kraft zu gehen oder mit normaler Stimme zu reden, sie liegt einfach nur da und ihr ganzer Körper zittert.
Wenn sie in diesen Zustand gekommen ist, braucht sie dann meist ein bis zwei Tage zur Erholung. […] Das heißt, bei dieser Krankheit wird jede Aktivität, die über der eigenen individuellen Leistungsgrenze stattfindet, mit Schmerzen und vielen weiteren Symptomen bestraft. Diese Krankheit hat mit einer „normalen Erschöpfung“ wenig zu tun […].“
Renate Wurzenberger, Mutter einer 18-jährigen Betroffenen
Schweregrad
ME/CFS zählt zu den am stärksten einschränkenden und belastenden (chronischen) Erkrankungen. Die Krankheitslast ist so hoch, dass die Lebensqualität der Betroffenen im Schnitt geringer ist als bei anderen sehr schweren, stark einschränkenden
Erkrankungen wie Multiple Sklerosis, HIV oder Krebs.
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Die Erkrankung hat dabei nicht nur massive Auswirkungen auf die Lebensqualität von Betroffenen, sondern auch auf jene von Angehörigen, die mit der Betreuung und Pflege der Erkrankten oft alleine gelassen werden.
Der Schweregrad von ME/CFS kann variieren, aber bereits eine “leichte” Ausprägung der Erkrankung bedeutet eine 50%ige Einschränkung des möglichen Aktivitätsniveaus verglichen mit vor der Erkrankung. Schwerst ME/CFS Betroffene sind zu 100% bettlägerig, sehr stark reizempfindlich und auf umfassende Pflege bis hin zur künstlichen Ernährung 12 angewiesen.
Mit mehr als 60% der Betroffenen 13 ist ein Großteil nicht mehr arbeitsfähig; leicht Betroffene arbeiten meist in reduziertem Ausmaß, mit großen Anpassungen und unter großen Einschränkungen. 14 Etwa 25 % der Betroffenen sind an Haus oder Bett gebunden. 15
Die NICE ME/CFS-Leitlinie, die Internationalen Konsensuskriterien, und der Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) aus Deutschland unterscheiden 4 Schweregrade. Die Übergänge der Gruppen sind fließend und geben eine Orientierung zum Einfluss der Schwere der Erkrankung auf alltägliche Funktionalität:
Es kommt zu einem ca. 50% reduzierten Aktivitätslevel, im Vergleich zu vor der Erkrankung. Menschen mit mildem ME/CFS können sich in der Regel selbst versorgen, allerdings stellen alltägliche Tätigkeiten wie Haushaltsaufgaben eine Herausforderung dar. Arbeit oder Ausbildung sind unter Einschränkungen noch möglich. Beispielsweise werden dazu die Arbeitszeit reduziert oder sonstige Freizeit- und sozialen Aktivitäten eingestellt. Freie Tage und Wochenenden werden genutzt, um den Rest der Woche bewältigen zu können.
Menschen mit moderatem ME/CFS sind in ihrer Mobilität und auch sonst in allen Aktivitäten des täglichen Lebens entscheidend eingeschränkt, auch wenn es oft stärkere Schwankungen in der Symptomatik und dem Aktivitätslevel gibt. Sie können in der Regel nicht arbeiten oder studieren und sind oft ans Haus gebunden. Bereits leichte Belastungen, wie zum Beispiel ein Arzttermin, ein Einkauf oder auch schon ein kurzer Spaziergang führen zu Zustandsverschlechterungen im Rahmen der PEM.
Bei schwer von ME/CFS Betroffenen ist PEM so stark ausgeprägt, dass bereits einfache Aktivitäten wie Duschen, Zähneputzen oder einfach nur aufrecht zu stehen, zu einer schweren Zustandsverschlechterung führen können. Die meisten schwer betroffenen PatientInnen können das Bett nur für kurze Zeit verlassen und sind daher stark auf fremde Hilfe angewiesen. Sie haben schwere und oft anhaltende beeinträchtigende Symptome wie Schmerzen und kognitive Beeinträchtigungen (z.B. Konzentration, Möglichkeit einem Gespräch zu folgen).
Sehr schwer Betroffene sind vollständig ans Bett gebunden und bei grundlegenden Tätigkeiten auf Hilfe angewiesen. Bei sehr schwer an ME/CFS Erkrankten ist die Reizempfindlichkeit oft besonders stark ausgeprägt. Für sie bedeutet das, dass sie isoliert in absoluter Stille und Dunkelheit leben müssen, um eine Zustandsverschlechterung durch Reize zu vermeiden. Für sie ist oft auch selbstständige Nahrungsaufnahme oder Sprechen nicht mehr möglich. Selbst für Arzttermine ist ein Verlassen des Bettes nicht mehr möglich und sie sind auf Hausbesuche angewiesen – die in der Praxis kaum angeboten und ermöglicht werden. Sie sind weitgehend “unsichtbar”.
Mit 10 Stufen ist die Bell-Skala differenzierter. Auf sie wird auch im Rhamen der Diagnostik zur Beurteilung des Schweregrades in der Praxis z.B. an der Charité Berlin zurückgegriffen. Ausgehend von einem Wert von 100 reduziert sich der Wert in 10er Schritten und entspricht einem höheren Schweregrad der Erkrankung. Ein PDF zur Bell Skala kann auf der Seite des Charité Fatigue Centrums heruntergeladen werden (siehe auch Für Ärzt:innen).
„Ich bin 33 Jahre alt und seit mehr als 15 Jahren an ME/CFS erkrankt, seit 3 Jahren nun bettlägerig- gefangen im Bett im dunklen Zimmer, tagtäglich Schmerzen, starke Muskelschwäche bis hin zur Bewegungsunfähigkeit, an Infusionen und künstliche Ernährung angeschlossen. Jeder Tag sind unendliche Qualen, ich vertrage kaum Licht, keine Geräusche , schaffe es gerade nur bis zum WC, duschen ist oft Tage bis wochenlang nicht möglich.“
Lissy
Verlauf & Prognose
So wie der Krankheitsbeginn bei Betroffenen unterschiedlich sein kann, sind auch die Krankheitsentwicklung und der langfristige Krankheitsverlauf unterschiedlich. Insgesamt ist ein höherer Schweregrad mit einer schlechteren Prognose verbunden. 17
Ein frühes Erkennen der Erkrankung, eine entsprechend symptomorientierte Behandlung sowie ein strenges Einhalten der eigenen Belastungsgrenzen in Form von “Pacing” führen zu einer besseren Prognose für die Betroffenen – vor allem für
Jüngere. Eine Heilung bzw. komplette Remission ist bei Erwachsenen sehr selten.
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Zur Lebenserwartung von ME/CFS Betroffenen gibt es kaum Daten. Renz Polster & Scheibenbogen (
2022, S. 834) schreiben dazu: “Die wenigen Daten zur Lebenserwartung weisen auf eine Einschränkung hin, insbesondere durch kardiovaskuläre Ereignisse, Krebs und Suizid. Letzterer ist besonders in der Betreuung schwer Betroffener
eine relevante, in der Praxis jedoch bisher nicht ausreichend berücksichtigte oder ignorierte Realität.” Ein beitragender Faktor dazu ist sicherlich die schwierige Situation, in der viele Betroffene ohne Anerkennung, medizinische
Versorgung und soziale Absicherung leben müssen. Siehe dazu auch „Situation der Betroffenen“.
Behandlung & Krankheitsmanagement
Aufgrund von fehlendem Forschungsinteresse und magelnder -förderung in den letzten Jahrzehnten, gibt es aktuell keine Medikamente zur ursächlichen Behandlung von ME/CFS. Ziel einer Behandlung ist auf der einen Seite eine Linderung von Symptomen wie beispielsweise Schmerzen oder Schlafstörungen sowie auf der anderen Seite eine Stabilisierung des Zustandes, um eine Verschlechterung zu vermeiden.
Grundsätzlich muss für ME/CFS festgehalten werden, dass Aktivierung in körperlicher und mentaler Form über die sehr individuellen, engen Belastungsgrenzen von ME/CFS Betroffenen hinaus zur Verschlechterung des Gesundheitszustand führt. Der Grund ist die Post Exertional Malaise (PEM) – eine Zustandsverschlechterung nach Belastung und das Hauptsymptom von ME/CFS.
Behandlungsansätze, die für andere Erkrankungen mit Fatigue als Symptom sinnvoll sind und auf Training, Bewegung und Leistungsaufbau abzielen, sind für ME/CFS nicht geeignet und können zu langfristigen Schäden führen.
Daher ist es von größter Bedeutung, dass ME/CFS möglichst rasch richtig diagnostiziert wird und nicht z.B. mit einer psychischen Erkrankung wie einer Depression, bei der Aufbautraining und Bewegung empfohlen sind, verwechselt wird. Entsprechende Empfehlungen finden sich in den internationalen Leitlinien der CDC, NICE oder auch WHO für Long Covid Betroffene mit PEM Symptomatik (dort “PESE” genannt).
Für sehr schwer von ME/CFS Betroffene sind die verfügbaren Möglichkeiten zur Behandlung und zum Krankheitsmanagement noch geringer. Sie sind oft zu schwer betroffen, um Behandlungsversuche oder Pacing umsetzen zu können.
Pacing – Energiemanagement
Um eine Zustandsverschlechterung durch PEM zu vermeiden oder zu verringern, ist es für ME/CFS Betroffene wichtig, die eigenen Belastungsgrenzen einzuhalten. Dieser Ansatz des Energiemanagements wird “Pacing” genannt.
Ziel von Pacing ist es, den eigenen Zustand möglichst gut zu stabilisieren, indem Crashes verhindert werden.
Darüber hinaus kann die Wirksamkeit zwischen Betroffenen stark variieren. Eine Behandlung muss daher individuell angepasst erfolgen.
Ziel von Pacing ist es NICHT, die Belastungsgrenzen auszuweiten oder ein Leistungsniveau langsam aufzubauen. Vielmehr steht es im Vordergrund, auf den eigenen Körper zu hören und alle Aktivitäten daran anzupassen. Dabei helfen können eine regelmäßige Tagesstruktur, Planung von Aktivitäten sowie technische Mittel wie eine Pulsuhr. Pacing verlangt viel Disziplin und ist für die Betroffenen, die gerne aktiv sein möchten, eine große Herausforderung. Auch haben nicht alle Betroffenen die entsprechenden Rahmenbedingungen wie Unterstützung im Alltag bei grundlegenden Tätigkeiten, um sich an Pacing halten zu können. Vor allem Schwerstbetroffene können Pacing nicht immer umsetzen, da für sie schon überlebenswichtige Körperfunktionen und Tätigkeiten einen Crash auslösen können, der kaum vermieden werden kann.
Pacing ist keine Behandlung von ME/CFS Betroffenen, sondern lediglich ein Ansatz zum möglichst guten Umgang mit der Erkrankung. Dieser Ansatz wird auch in den Leitlinien von NICE und CDC unterstützt.
Bei der Behandlung von Symptomen und für ME/CFS typische Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) wie Schlafstörungen, Schmerzen oder Kreislaufproblemen, ist es wichtig zu beachten, dass ME/CFS-Patient:innen häufig sehr empfindlich auf Medikamente reagieren. 19
„Seit November 2020 […] bin ich in totaler Dunkelheit an mein Bett gefesselt. Ich kann meine Arme und Beine kaum mehr bewegen, nicht mehr selbst essen, höchstens eine Minute sitzen und nicht mehr sprechen. Wenn ich etwas mitteilen möchte (wie hier), dann geht das nur an guten Tagen, wenn ich mit dem Fingern Buchstaben zeigen kann. Am schlimmsten ist die Ungewissheit, die Angst und die totale Einsamkeit. Selbst mein Kater ist zu anstrengend und kann nicht mehr bei mir sein. Meine Eltern und Pflegerinnen sind nur für die notwendigsten Verrichtungen im Zimmer. Alles muss schnell gehen und so ruhig wie möglich, um Reizüberlastung und weitere Crashs zu vermeiden. Draußen geht das Leben weiter.“
Milena Hermisson
Historie von ME/CFS
ME/CFS wird hauptsächlich durch Infekte ausgelöst. Postinfektiöse Erkrankungen, die ME/CFS gleichen, sind seit mindestens 200 Jahren in der medizinischen Fachliteratur dokumentiert.
Florence Nightingale (1820-1910), Pionierin der modernen Krankenpflege, ist eine der ersten öffentlich bekannten Personen, die ME/CFS-ähnliche Symptome dokumentiert hat. Sie war selbst nach einer Fieber-Infektion jahrelang bettlägerig. Der ME/CFS Awareness-Tag wird daher an ihrem Geburtstag, dem 12.Mai, begangen, um Bewusstsein für die Erkrankung zu schaffen.
ME/CFS ist seit 1969 von der WHO unter G93.3 als neurologische Erkrankung klassifiziert
Die Krankheit ist damit seit mehr als 50 Jahren (!) Teil des weltweit wichtigsten, anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Internationale Gesundheitsbehörden wie CDC (USA) und NICE (UK) stellen umfassende Leitlinien zur Diagnose und Behandlung von ME/CFS zur Verfügung, die auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft gehalten werden. So wurde 2021 die grundlegende Überarbeitung der Behandlungsempfehlungen zu ME/CFS durch NICE veröffentlicht. Dabei wurde vor allem herausgearbeitet, dass Behandlungsmethoden aus dem Bereich der Psychiatrie (Gesprächstherapie und Bewegungs-/Aktivierungstherapie) für ME/CFS unpassend sind oder sogar schädlich sein können.
Trotzdem ist ME/CFS in Österreich bisher nicht Teil einer medizinischen oder pflegerischen Ausbildung und folglich auch nicht ausreichend bekannt sowie anerkannt. Betroffene kämpfen daher nicht nur mit der Schwere der Erkrankung, sondern auch mit der Stigmatisierung und der weitgehenden Unbekanntheit der Erkrankung. Die Pandemie führt aktuell zu einem starken Anstieg der Betroffenenzahlen, da Covid-19 ME/CFS auslösen kann. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Zahl der ME/CFS Erkrankten durch die Pandemie mindestens verdoppeln wird. 19
ME/CFS als schwerste chronische Form von Post COVID
Die Pandemie macht die Langzeitfolgen von Viruserkrankungen (sogenannte postvirale Erkrankungen) durch die hohe Zahl an neu Betroffenen deutlich sichtbar. Diese Langzeitfolgen werden unter dem Begriff Long Covid zusammengefasst.
Long Covid wird für Symptome verwendet, die bis 3 Monate nach einer Covid-19 Akuterkrankung andauern oder neu auftreten und mindestens 2 Monate bestehen.
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Bei einem Bestehen der Symptome über 12 Wochen hinaus wird von Post Covid (Syndrom) gesprochen.
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Insgesamt über 200 Symptome wurden unter dem Begriff Long Covid bisher gemeldet und festgehalten.
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Dementsprechend breit und ungenau wird der Begriff verwendet.
Die Unterscheidung von Long Covid und Post Covid Subtypen ist für Aussagen zu Prävalenz, betroffenen Personengruppen und vor allem für empfohlene Behandlungsansätze
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– sowie deren Verfügbarkeit – relevant. Neben Formen von Long Covid wie Organschäden oder Folgen eines Intensivaufenthaltes (Post Intensive Care Syndrome) ist auch ME/CFS eine mögliche Form von Long – oder genauer Post – Covid.
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Wie viele Menschen genau den ME/CFS Subtyp als Folge einer Covid-19 Infektion entwickeln, ist aufgrund der mangelhaften Unterscheidung von Subtypen und der unzureichenden Datenlage nicht genau bezifferbar. Studien zu Long und Post Covid nennen Zahlen zwischen 10% und 60%. 24 , 25 , 26 , 27 Es ist mit zehntausenden neuen ME/CFS Betroffenen in Österreich zu rechnen.
Expert:innen gehen davon aus, dass sich die Zahl der ME/CFS Betroffenen durch die Pandemie mindestens verdoppeln wird. 19
Long Covid-Patient:innen, die ME/CFS entwickeln, sind nicht nur langfristig chronisch krank, sondern auch jene Gruppe, für die es aktuell keine öffentlichen Versorgungsstrukturen und keine ursächlichen Behandlungsmöglichkeiten gibt.
Wie wichtig eine ernsthafte Förderung von ME/CFS Forschung in den vergangenen Jahrzehnten gewesen wäre, zeigt spätestens die Pandemie durch die große Zahl an Langzeitbetroffenen ohne Behandlungsoptionen mit aller Deutlichkeit.
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