Stellungnahme und Informationsbegehren zur “flächendeckenden Versorgung”
Energiesparende Zusammenfassung
- Das Ministerium sieht mit Beantwortung 2641/AB der parlamentarischen Anfrage 3119/J zur Versorgungslage von ME/CFS-Betroffenen diese als “flächendeckend” gesichert.
- Nach einer Vorab-Stellungnahme der ÖG ME/CFS erging am 25.10.2025 ein Schreiben an das BMASGPK sowie ein Informationsbegehren.
- Darin wird die Versorgungssicht aus Patient:innenorganisation dargestellt – es fehlt sowohl an Expertise in allen Bereichen als auch spezialisierter Behandlung.
- Es wird nun auf eine Rückmeldung seitens BMASGPK gewartet und die in Kürze startende “digitale Protestaktion” angekündigt.
“Flächendeckende Versorgung” für ME/CFS-Betroffene
Am 6.10.2025 erfolgte die Beantwortung 2641/AB der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz auf die parlamentarische Anfrage 3119/J zur Versorgungslage von ME/CFS-Betroffenen. Sie sieht in dieser die Versorgung für ME/CFS-Betroffene als “flächendeckend sichergestellt”.
Begründet wird dies damit, dass es Verträge mit Vertrags(fach-)ärzt:innen zur Abrechnung mit den Krankenversicherungsträgern gebe – als wäre die theoretische Möglichkeit zur Abrechnung bereits mit tatsächlicher Versorgung gleichzusetzen. Gleichzeitig wird eingeräumt, dass bei „komplexen Erkrankungsfällen“ eine weiterführende Abklärung in spezialisierten Ambulanzen notwendig sein könne – die aber nicht existieren.
Der Realitätscheck: Was es (nicht) gibt
Die ÖG ME/CFS zeigt seit 2020 den Bedarf auf und fordert seit 2021 insbesondere die Schaffung interdisziplinärer, spezialisierter Versorgungszentren. Solche dringend benötigten Spezialambulanzen mit ME/CFS-Expertise wurden seitens Entscheidungsträger:innen jedoch bislang nicht umgesetzt. Betroffene finden weder im öffentlichen, noch im niedergelassenen Bereich Versorgungsstrukturen, die eine fundierte ME/CFS-Diagnostik oder Behandlung ermöglichen. Die wenigen engagierten Ärzt:innen mit Erfahrung in diesem Bereich arbeiten fast ausschließlich privat, sind vom Patient:innenandrang überlastet und haben deshalb entweder jahrelange Wartelisten oder Aufnahmestopp. Betroffenen bleibt damit der Zugang zu jeglicher Versorgung verwehrt.
Dass Abrechnungsmöglichkeiten existieren, bildet einen theoretischen Rahmen für die Erbringung von Leistungen. Dadurch wird aber nicht gewährleistet, dass ein entsprechendes Angebot tatsächlich existiert. Auch ist die Abgeltung kassenärztlicher Leistungen derart niedrig, dass sie die komplexe Diagnostik und Versorgung von ME/CFS nicht im Ansatz abbildet und keinen Anreiz setzt, die betreuungsintensiven Patient:innen zu versorgen.
Schreiben und Informationsbegehren an das BMASGPK
Aufgrund der Anfragebeantwortung, die an der Realität der Betroffenen vorbei geht, haben wir uns daher mit einem Schreiben an das BMASGPK gewandt und die Patient:innensicht dargelegt:
- Falsche Darstellung der Versorgungslage: Kritik an der Aussage einer “flächendeckend gesicherten Versorgung”, die faktisch nicht existiert – weder im niedergelassenen noch im spezialisierten Bereich.
- Realitätsferne Argumentation: Eine theoretische Abrechenbarkeit ersetzt keine tatsächliche, fachlich qualifizierte medizinische Versorgung.
- Fehlende Spezialstrukturen: In ganz Österreich gibt es keine öffentlichen Ambulanzen mit ME/CFS-Expertise – trotz jahrelanger Forderungen und parlamentarischer Entschließung.
- Mangel an ärztlicher Expertise: ME/CFS ist kein verpflichtender Bestandteil der medizinischen Aus- oder Weiterbildung; Fortbildungen erfolgen freiwillig und unkoordiniert.
- Unzureichende Abrechnungslogik: Bestehende Positionen sind einmalig, schlecht vergütet und für komplexe Multisystemerkrankungen wie ME/CFS ungeeignet.
- Strukturelle Ausschlüsse: ME/CFS-Patient:innen ohne nachweisliche COVID-Infektion fallen durch das Raster der abrechenbaren Long COVID-Versorgung.
- Blockade durch fehlende Definitionen: Fehlende klare Abgrenzung zwischen PAIS und ME/CFS führt zu Verwirrung und Verzögerungen – obwohl international anerkannte Kriterien längst existieren.
- Kritik an Intransparenz: Widersprüchliche Aussagen über den Stand des Aktionsplans PAIS und der Zielsteuerungsmaßnahmen sorgen für Unsicherheit und Vertrauensverlust in die Politik.
- Politische Verantwortung: Forderung nach evidenzbasierter Planung, verlässlicher Kommunikation und echter Einbindung von Patient:innenvertretungen.
- Klarer Forderungskatalog: unter anderem Einrichtung spezialisierter Zentren, verpflichtende ärztliche Weiterbildung, belastbare Datenlage, soziale Absicherung, Partizipation.
Ergänzend dazu wurde ein Informationsbegehren eingebracht:
- Aktionsplan PAIS: Vertragsinhalt und Kosten, Zielsetzung und Umsetzungsschritte, Abweichungen vom Plan, Rolle der Bundes-Zielsteuerungskommission, Kommunikation mit Ländern und Sozialversicherungsträgern, Umsetzungsstand der Maßnahmen
- Neuevaluierung ME/CFS-Versorgung: Beauftragung der GÖG (Ziel, Umfang, Kosten, Zeitrahmen), Entscheidungsgrundlage und Bedarf, Inhalte und Methodik, Einbindung von Versorgungsstellen, Rolle des Referenzzentrums, Begründung des Ausschlusses der ÖG ME/CFS
- Parlamentarische Anfrage 3119/J & Beantwortung 2641/AB: Entscheidungsgrundlagen zur Anfragebeantwortung, Auflistung genannter Spezialambulanzen für ME/CFS
- Spezialisierte Behandlungsstellen: Protokolle und Beschlüsse der Bundes-Zielsteuerungskommission, Planungsdokumente, Empfehlungen von Expert:innen, Rolle des Nationalen Referenzzentrums für PAIS
- Datengrundlagen zu ME/CFS: Zahlen zu Gesamtbetroffenen, Minderjährigen, Schweregraden und regionaler Verteilung, Vereinbarungen zu Studien (zB Prävalenz), Maßnahmen zur Verbesserung der Datengrundlagen
- Heimbeschulung: Anzahl betroffener Kinder im Heimunterricht, rechtliche Grundlagen (Richtlinien, Erlässe), Zahl der Anträge und Entscheidungen
Ausblick: Wie es weiter geht
Nun bleibt die Beantwortung unseres Informationsbegehrens sowie eine inhaltliche Stellungnahme des BMASGPK abzuwarten. Gemäß Informationsfreiheitsgesetz ist das Ministerium zur Auskunft verpflichtet, sofern kein gesetzlicher Geheimhaltungsgrund vorliegt. Parallel dazu bereiten wir eine digitale Protestaktion vor, um der Dringlichkeit der Anliegen Nachdruck zu verleihen. Denn leider zeigt sich auch zu Beginn dieser Legislaturperiode: Es braucht wiederholte Hinweise und öffentlichen Druck, damit die Situation von ME/CFS-Betroffenen als das erkannt wird, was sie ist – ein dringendes gesundheitspolitisches Handlungsfeld. Dazu brauchen wir die Unterstützung aller Betroffenen und ihrer Angehörigen – wir melden uns in Bälde mit weiteren Informationen dazu.
